Das Logo der Rockabilly Mafia

Geschichte

Vorwort zur zweiten Auflage vom Mai 2011

Vor ziemlich genau sieben Jahren, im April 2004, schrieb ich den ersten Teil der nun folgenden Bandgeschichte der Rockabilly Mafia. Anlass war damals der neue Internetauftritt. Ich hatte die ziemlich naive Vorstellung, dass damit alles wesentliche gesagt sei. Naja, Pustekuchen. Wen interessiert im Internet irgendwas nach Zeile zehn einer Seite?

…so dachte ich jedenfalls, bis mich eine Bekannte ansprach, die sich durch das Ganze durchgequält hatte und es für gut befand. Wahrscheinlich, weil ihr Bruder vorkommt. Auch der Authentizitätsexkurs wurde damals ziemlich stark kommentiert, positiv wie negativ. Auch gut. Als die Webside nun wortwörtlich in die Jahre kam und ein komplette Relaunch unumgönglich wurde, habe ich mich mit der Story aber doch schwer getan:

Zunächst habe ich Überlegt, ob ich nicht alles neu schreiben solle, die Orginaldatei war sowieso beschädigt und ich musste alles noch mal abschreiben. Ich habe mich dagegen entschieden und alles so gelassen, wie es war. Der Text ist meiner Meinung nach nämlich lesbar geblieben, wenn auch heute vielleicht schwerer zu konsumieren. Die vielen, zuweilen grotesken Veränderungen der RocknRoll-Szene in den letzten Jahren lassen eine Band wie uns wohl ziemlich orthodox und altmodisch erscheinen. Wir passen nicht so recht in diese ganz anderen Moden und Stilelementen verhafteten 10er Jahre des neuen Jahrtausends. Aber in Wirklichkeit war das eigentlich schon immer so, denn auch in den 80ern waren wir natürlich voll neben der Spur mit deutschsprachigem Rockabilly. Später in den 90ern waren wir dann zu ‚Neo-Billy‘, zu wenig ‚British‘, dann sogar zu ‚Oldschool‘, zu hart, zu lau, zu laut, zu irgendwas. Tja, und das machen wir nun schon Über 25 Jahre, und wir werden nie damit aufhören. Der Frühling ist vorbei, die Haare gehen, die Wampe kommt…

Mir doch egal.
…und nun ins Jahr 1985, gesehen aus dem Blickwinkel des Jahres 2004…

Kapitel I: Die Protomafia

In seinem zu Recht nicht unumstrittenen Buch ‚Bildung‘ ordnet Dietrich Schwanitz einigen Völkern Europas so etwas wie ‚Primärtugenden‘ zu. Die Deutschen sind dabei seiner Meinung nach immer auf der Suche nach Orginalität, also Echtheit. Wenn daran etwas Wahres ist, dann ist die Rockabilly Mafia eine durch und durch Deutsche Kapelle. Von meinen Problemen mit diesem Begriffen, besonders mit dem heute oft falsch benutztem der Authentizität, wird weiter unten nochmals die Rede sein.

Ich erinnere mich jedenfalls noch ganz genau, was ich damals, im für mich so wichtigen Herbst 1985, am allermeisten wollte: Ich wollte eine Art von Musik machen, die nicht so klang, als würde sie aus dem Amerika der fünfziger Jahre kommen, und auch nicht so, als wäre sie 1976 in England entstanden. Die Achtziger selber interessierten mich schon gar nicht. Ich wollte mit Rockabilly, wie ich ihn mir vorstellte, Geschichten erzählen, die mir passiert waren, oder die mir zumindest so hätten passieren können.

Dabei nutzte ich den Fundus sprachlicher und musikalischer Mittel, die mir damals zur Verfügung standen. Auf dem Kontrabass hatte ich gerade die allerersten Marginalien gelernt, und ich konnte von Glück reden, dass mein damaliger Musiklehrer mir den Schulbass leihweise zur Verfügung stellte (ich malte ihn dann zum Dank dafür mit weißem Edding an (den Bass, nicht den Lehrer)). Mit Malte Kob hatte ich einen Multiinstrumentalisten an meiner Seite, und durch geduldiges Üben kamen wir dann soweit, dass die ersten musikalischen Gehversuche nicht immer völlig danebengingen…

Was die Texte anging, so konnte ich auf eine Fülle (genauer gesagt zwei) höchst unglückliche Liebesgeschichten, einige damit verbundene minder- bis mittelschwere Sachbeschädigungen und ein sehr mäßig renoviertes B-Kadett-Coupe Baujahr 72 zurückgreifen. Daraus hätte man in den fünfziger Jahren schon ein paar Dutzend Titel destillieren können.

Ich möchte gleich an dieser Stelle anmerken, dass ich hier nicht auf unsere musikalischen Vorbilder eingehen werde. Es ist das eine, Musik zu hören, es ist das andere, sie zu machen. Bei uns ging das nie so recht zusammen, denn wenn die Mafia einen Song macht, ist es ein Mafiasong. Das kann sich mal nach dem einen oder anderen Vorbild anhören, es bleibt aber ein Mafiasong. Unverwechselbar. Leider. Weiter im Text…

Nun, im Herbst 1985 bekamen die Dinge eine gewisse Dynamik, denn durch den Kontakt zu anderen Musikern auf meiner Schule (einem ansonsten sehr ehrwürdigen humanistisch-neusprachlichem Gymnasium in Elmshorn) gelang es mir, eine Art Pool von Leuten aufzubauen, die für Sessions zur Verfügung standen.

Der Name ‚Rockabilly Mafia‘, den ich dem Ganzen etwas später schließlich gab, zollte diesen unübersichtlichen Verhältnissen Tribut, wobei der Rockabilly die grobe Richtung vorgab. Wir nahmen eine ganze Anzahl von Stücken mit Malte Kobs altem Tonbandgerät auf, und ich muss sagen, dass ich mir einige dieser Titel auch heute noch gerne anhöre, wenn ich sie auch nie veröffentlichen würde.

Im Laufe des Jahres hatte ich besonders viel mit zwei weiteren Leuten bei kleinen Lifegigs zusammengearbeitet, mit dem Bassmann Kai Beyer und dem Drummer Andreas Dalecki. Während nun bei den Sessions 1985 alle möglichen Leute mitwirkten, kristallisierte sich als mögliche Form für eine echte Band ein Quartett heraus, wobei der musikalisch ebenfalls sehr versierte Kai Beyer fortan die Gitarre spielte und mir den Bass überließ, während Malte Kob das Saxophon(!) übernahm.

Und genau in dieser Besetzung bestritten wir auch unser erstes Konzert an meinem Geburtstag am 27.09.1985 auf dem Barmstedter Friedhof, von dem wir ein sehr bescheidenes Tape mitschnitten und an die Gäste verscherbelten. Somit fiel die Geburt der Rockabilly Mafia mit meinem eigenen zwanzigsten Geburtstag zusammen.

Es folgte dann noch ein Auftritt auf dem Frühlingsfest der Elsa-Brändström-Schule im April 1986, bei dem wir noch durch den Pianisten Waldemar Stiller ergänzt wurden, ein hier dargebotener Titel hat die Zeiten überlebt, er wurde als Gimmick 1990 auf dem Sampler ‚Der Norden haut drauf‘ unter dem Bandnamen ‚EBS-Allstarband‘ veröffentlicht.

Aber ich war mit dem Erzählen im Jahr 1986, in dem ich nicht nur mein Abitur machte, sondern auch etwas sehr grundsätzliches über Musik lernte, und damit sind wir wieder bei der Echtheit. Im September des Jahres nahmen wir unsere erste Schallplatte ‚Rockin in the Graveyard‘ auf. Die Platte klang scheiße. Vor allem deshalb, weil ich überhaupt keine Vorstellung davon hatte, wie sie denn nun eigentlich klingen sollte.

Am alten Rockabilly wollten wir uns zwar orientieren, aber der Sound der ‚Keytones‘ gefiel uns auch recht gut, Red Hot Max war super, die ‚Cat-Bands'(Vorsicht, dies bedeutete Stray-Cats, PoleCats, Blue-Cats und nichts aus der Frühzeit des Texas-Rockabilly eines Lew Williams o.ä.) waren klasse, Restless sowieso, aber wo gehörten WIR hin???

Wie sollte das weitergehen, zumal es auch ansonsten nicht gut lief: Das ganze Jahr über hatten sich unser aller Lebenswege langsam aber beständig auseinander entwickelt. Malte Kob war als Saxophonist für eine Rockabillyformation, wie ich sie mir vorstellte, letztendlich einfach nicht passend, Kai Beyer heiratete im Sommer des Jahres, während ich im Herbst zur Bundeswehr einrücken musste.

Die dort gesammelten Eindrücke veranlassten mich nicht nur zu ausdauerndem und reichlichem Alkoholkonsum, sondern auch zum Einschlagen einer härteren Gangart: Was sollte ich eigentlich mit Leuten, die meine Art von Musik zwar spielten, aber sie nicht lebten? Wie sollte ich ihnen begreiflich machen, warum dies oder das nicht ginge, sondern genau SO gespielt werden müsse? War die Beliebigkeit, mit der meine Mitmusiker ihre Spielweisen an meinen musikalischen Vorstellungen anpassten, Können oder bloß Orientierungslosigkeit?

Wurde mein eigener Weg dadurch beeinflusst, gar verwässert? Unangenehme Fragen. Schließlich kam mir die Eingebung (Wahnvorstellung?), dass man einen unverwechselbaren Sound am einfachsten mit unverwechselbaren Typen erzeugen kann. Bei mir war das der Fall. Und wenn man mich nicht einrahmen konnte, ohne Glaubwürdigkeit dranzugeben, vielleicht brauchte ich dann einfach noch mehr Typen? Auftritt Karsten Tex Willer.

Kapitel II: Die Band

Eines Novemberabends `86 kam ich also vom Bund nach Hause auf den Friedhof in Barmstedt (hatte ich erwähnt, dass mein Vater Friedhofsverwalter war und ich die ersten 23 Jahre meines Lebens ebendort zubrachte?), wo mein Kumpel Joe Thol auf mich wartete. Joe hatte eine Snaredrum und konnte den Takt halten, er war also für einen Test der richtige Mann.

Dann kam Tex Willer, der bei seiner Band, den ‚Nightmare Rockers‘ als Rhythmusgitarrist nicht so recht zum Zuge kam. Tex und ich kannten uns schon viele Jahre und hatten so manchen Humpen miteinander gelehrt, aber richtig zusammengespielt hatten wir nie. Ich war in der ersten Zeit immer mit Leuten zufrieden gewesen, die spielten, was ich ihnen sagte. Willer war da ein anderes Kaliber, denn von den RocknRollern aus Elmshorn, die selber Musik machten, war er der Einzige, der mir in Bezug auf Ehrlichkeit und Biss das Wasser reichen konnte.

Wir unterschieden uns aber in den Leitmotiven. Meine war Beknackt, immer zu laut und immer zu lustig, seines Kein Wort zuviel und keine falsche Bewegung. Da stand jemand vor mir, mit dem man sich abzufinden hatte, wie er war. Ihm wird es mit mir genauso gegangen sein.

Da wir kein anderes Stück aus dem Hut zaubern konnten, begannen wir die Session in der guten Stube meiner Eltern mit ‚Good Rockin tonight‘. Sicher, ich spielte keinen besonderen Bass, Thols Trommel war bestenfalls trostlos und Willers Gitarre ein wenig eintönig, aber als wir den Song fertig hatten, fühlten wir etwas vibrierendes, das ich jedem Musiker wenigstens einmal wünschen möchte. DAS wars. SO sollte die Mucke klingen. Was ich alleine nicht zustande gebracht hatte, weil mir der richtige Widerpart fehlte, gelang nun aus dem Stand.

Andreas Dalecki war der dritte Mann im Bunde. Offiziell war er die ganze Zeit der Trommler der Mafia geblieben, und die nächsten Sessions, bei denen er Thol dann ersetzte, glichen Expeditionen. Wie ein Junge mit seinem ersten richtigen Klappmesser spielt, übten wir uns in dem Stil, der für die ersten Jahre unsere Platten dominieren sollte und die Deteminanten für alles folgende legte. Die besondere Rolle des Drummers erörtere ich weiter unten.

Die Band, das Trio, die Kapelle war fertig, was fehlte war eine wirklich gute Mischung der Aufnahmen. Das Jahr 1987 machte uns lokal immer bekannter, wir spielten in der Markthalle, in der Fabrik (beides HH), ja es verschlug uns sogar ins katholische Münster, wo wir im Herbst als Vorgruppe der ‚Keytones‘ unser noch sehr karges Repertoire darbieten durften. Aber es wurden immer mehr Stücke, und es waren lauter eigene.

Im Januar 1988, ich hatte meine Bundeswehrzeit gerade beendet, Willer war noch Zivi, hatten wir 12 Stücke für eine kurze LP, ‚The Streets of Elmshorn‘, zusammen, und wir nahmen sie in Prisdorf bei Pinneberg auf. Zwei wichtige und gute Männer traten in unser Leben, Brüder. Der eine, Carol von Rautenkranz, hielt sich beim Mischen der Scheibe etwas im Hintergrund, er arbeitete mehr mit Presse und Booking. Die Früchte seiner vielen Jahre mit vielen Bands kann er heute zum Glück wenigstens im kleinen Rahmen ernten, denn sein Label, LAge dOr (ich kann es immer noch nicht schreiben), das damals gerade in den Kinderschuhen steckte, ist heute die Cohiba unter der Indies der Hamburger Schule, und er selber genießt geradezu den Ruf eines Nestors der Independent-Szene.

Der uns betreuende Musikverlag läuft heute noch über diese Schiene. Der andere, Chris von Rautenkranz, blieb über viele der folgenden Jahre unser Mixer für Bühne und Studio. Er betreibt heute das Soundgarden-Tonstudio in Hamburg, ein wirklich gute Laden. Chris hat uns in sehr mühevoller Kleinarbeit den Sound gegeben, der in der folgenden Zeit eines unserer Markezeichen werden sollte. Wir experimentierten bei jeder Platte mit ein paar wenigen neuen Sachen, ohne dabei etwas grundsätzlich anderes zu machen. Die Änderungen waren vorsichtig.

Kapitel III: Die erste Dekade

Ich werde die folgenden Schallplatten nicht einzeln besprechen, dazu waren es zu viele, aber es lassen sich drei Phasen bis zu Daleckis Ausscheiden aus der Band im Jahre 1996 unterscheiden:

Der Anfang (1988-1992)

Mit frischen Mut und vielen Ideen hauten wir Ende der 80er der ‚Streets of Elmshorn‘ Platte gleich ‚Woman,Oh,Woman‘ hinterher, es folgten diverse Samplerbeiträge sowie eine Live-Scheibe auf Ralf Seegers ‚Rumble-Label‘. Kurz gesagt, die Sache lief. 1990 produzierte ich den Sampler ‚Der Norden haut drauf‘. Bezahlt wurde die Scheibe von Achim Dörr von der RocknRoll-Boutique ‚Charmeuse‘ in Hamburg, in der ich zu dieser Zeit arbeitete. Heidi Dörr war kurz zuvor unter tragischen Umständen ums Leben gekommen und so widmeten wir ihr diesen Überblick über die Hamburg/Holsteiner Rockabillyszene der Zeit, was ich auch heute noch sehr passend finde. Seltsamerweise bot sich mir die Gelegenheit, über die Herstellung dieser Platte meine Diplomarbeit zu verfassen, ich habe meinen akademischen Grad ‚Dipl.Bibl.‘ also auch dem Rockabilly zu verdanken.

Die Live-Scheibe von Rumble war ganz okay gewesen, aber uns schwebte noch etwas anderes vor, deshalb produzierten wir 1991/92 die Platte ‚Heimweh nach Elmshorn‘, die wir mit Chris von Rautenkranz live im Rieckhof/Harburg aufgenommen hatten. Spätestens mit dieser Platte zeichnete sich das Ende der Anfangsphase unserer Band ab, denn es ist die erste, die keine ‚echte‘ Graveyard-Records Produktion mehr war, nun zahlte Lado für uns, und das Barmstedter Friedhofstor war nurmehr eine Verbeugung vor meinem Wunsch, Mafia-Platten mit diesem Logo zu versehen. Ich hatte schon für ‚Der Norden haut drauf‘ nicht genügend Geld gehabt, und bei Pascal Fuhlbrügge und Carol von Rautenkranz war es uns nun möglich zu arbeiten, wie wir es mit unserem eigenen Geld nie gekonnt hätten. Das zeitigt Effekte.

Jamboree (1993-19994)

Das Jahr 1993 hatte zunächst retrospektiv angefangen: Lado veröffentlichte auf dem eigens für uns gegründeten ‚Teenage-Exploitation-Label‘ zunächst unter dem Titel ‚Jugendsünden‘ unsere ersten beiden LPs nochmals auf CD. Zum anderen ging es danach aber mächtig vorwärts, denn ‚Jamboree‘ erschien, und zwar nur auf CD. Das war eine seltsame Produktion, einen 16 neue Stücke, von denen einige zu regelrechten Mafia-Klassikern wurden. Zum anderen Studioabfälle, Live-Überhänge und die komplette Grave 001 ‚Rockin in the Graveyard‘. Ein Hybride, der die Gegenwart mit den ersten Gehversuchen kombinierte. Man merkt, dass sich hier das zehnjährige Jubiläum ankündigt. Lado forcierte nun Samplerauftritte, es erschienen diverse andere Platten, auf denen wir Gast waren und wir ließen die Dinge wirken…

1994 erschien ‚Jamboree‘ dann doch als LP bei Andy Widders ‚Part-Records‘, dies war der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen TeenEx und Part. Das sah alles nicht so übel aus, bis zu diesem Zeitpunkt waren ungefähr 20 Tonträger mit Songs von uns veröffentlicht worden, davon fünf komplette Alben, die die kontinuierliche Entwicklung seit 1988 dokumentierten. Und doch hatten wir ein Problem.

Exkurs: Arbeitstechniken

Vielleicht ist dies die richtige Stelle, um einmal zu erklären, wie zu dieser Zeit alle Lieder der Mafia entstanden. Diese Erklärung erscheint mir notwendig, damit man versteht, warum das passierte, was passierte. Die Sache lief nämlich so: Entweder Willer oder ich hatten eine Idee zu einem Song. Dann erarbeiteten wir die Melodie, bis das Lied stand, danach schrieb ich einen Text oder es wurde ein Instrumental. Zweite Möglichkeit: Ich hatte einen guten Text den ich weglegte, bis uns eine passende Melodie dazu einfiel. Dritte Möglichkeit: ich hatte einen guten Text, ich hatte einen Basslauf dazu und Willer bastelte sich die passenden Gitarrenriffs. Wenn wir das alles hinter uns hatten, riefen wir Dalecki an, der dann dazu trommelte. Anders konnte es gar nicht gehen, denn, um das nach all den Jahren mal deutlich auszusprechen, Willer und Dalecki konnten sich eigentlich nicht ausstehen. Tex war der ruhige Arbeiter an der Gitarre mit profundem Wissen in Sachen Rockabilly, er verbesserte sich über die Jahre kontinuierlich an seinem Instrument, er wußte dabei auch ziemlich genau, was er wollte und was nicht.

Ding Dong Dalecki war der dritte Typ der Band und auch alles andere als einfach. Er war ein spontaner Haudrauf-Mensch, was mir einerseits sehr entgegenkam. Andererseits ging mir sein Eigensinn ziemlich auf die Nerven, denn wenn Dalecki nicht wollte, wollte er nicht. Willer und mir zu Anfang spieltechnisch haushoch überlegen, langweilte er sich beim üben eigentlich immer. So holten wir ihn also nur, wenn wir ihn brauchten, denn wenn Dalecki sich langweilte, wurde er anstrengend. Außerdem interessierte ihn die Geschichte unserer Musik und das ganze Drum-herum(tolles Wort in diesem Zusammenhang!) herzlich wenig, ihn interessierte, die Musik zu machen, fertig.

Ich stand von Anfang an als der etwas durchgeknallte Bassmann-Sänger-Texter zwischen Tex und Ding Dong. Hätte ich da nicht gestanden, die Band hätte keine drei Jahre gehalten. In der ganzne ersten Dekade der Mafia hat es immer wieder Situationen gegeben, in denen es kurz vorm Bruch stand, und mehr als einmal redete ich mit Engelszungen auf beide ein, um das Trio zu erhalten. Man möge mich nicht falsch verstehen, ich tat das natürlich auch aus Verbundenheit, denn beide waren meine Freunde, ich tat es aber in ersten Linie, um meine Musik machen zu können. Ich ahnte nicht, dass ausgerechnet ich damit zur Sollbruchstelle der Kapelle wurde.

Wenn das nun so war, wieso haben wir uns das dann eigentlich alle so lange angetan? Tja, die unterschiedlichen Persönlichkeiten ergänzten sich bei aller Reibung eben auch sehr gut. Der Trommler, der mit seinem Rhythmus alles zusammenhielt und dabei mächtig Show machte, der nahezu unbewegliche Gitarrist, der die ganze Zeit wie angenagelt auf der Bühne stand und von mir gar nicht zu reden. Ich bin immer wider erschüttert, wenn ich mich auf Videos sehe. Total gaga. Zum Glück merke ich beim Spielen nichts davon. Es waren tolle Jahre auf der Bühne, soweit ich mich erinnere, denn meistens war ich schon ziemlich betrunken, wenn wir auftraten. Sie entschädigten mich für die Querelen hinter den Kulissen, für ein paar Minuten war einfach alles gut so. Das dieses Ausblenden von Realitäten irgendwann Folgen haben würde, blendete ich ebenfalls aus.

Ende des Exkurses.

Stagnation und Bruch (1995-1996)

1995 war die Kapellen zehn Jahre alt, und das ist in Bandkreisen nicht so wenig. Äußerlich war alles auf Kontinuität angelegt. Wir hatten eigentlich vorgehabt, eine 25cm-LP zu machen, weil die immer noch in unserer Sammlung fehlte, aber es wurde dann doch eine CD. ‚Das ist Rockabilly‘ war eine Art Fortsetzung von ‚Jamboree‘, wobei wir hier Dinge versuchten, die wir noch nie versucht hatten. Manches klappte, manches ging kolossal daneben. Für mich ist die Platte vor allem wegen eines Titels sehr wichtig, ‚Die Nacht war lau‘. Hier gelang es uns m.E. erstmals, einen guten Deutschen Text, bei dem es nicht um Saufen, Autofahren oder die dritte wichtige Sache im Leben ging, mit einem griffigen Riff zu verbinden. Wir hatten uns nicht leichtgetan mit dem Material. Die erste Session im ‚Topas-Tonstudio‘ schmissen wir komplett weg, ich überarbeitete alle Texte, wir gingen in den Soundgarden und als wir dann endlich fertig waren, hängten wir noch eine weitere Session dran, von der wir aber nur wenig vewendeten. Eine merkwürdige Stimmung hatte uns alle ergriffen, es lief irgendwie komisch…

Live hingegen lief alles noch sehr gut, und unser Jubiläum, das von Andy Widder ausgerichtet wurde, war ein rauschendes Fest, bei dem sogar meine Eltern erschienen. 1996 erschienen die üblichen Samplerbeiträge, auch die Vinyl-LP bei Part kam heraus, aber im Sommer des Jahres kam es dann doch zum endgültigen Bruch des Trios. Ich hatte es in fast 11 Jahren immer wieder geschafft, die Krisen zwischen Dalecki und Willer zu schlichten, als es aber zwischen mir und Dalecki krachte, war Schluß. Er hatte musikalisch schon länger deutlich andere Interessen entwickelt und arbeitete nebenbei an eine ambitionierten Elvis-Revival-Projekt mit, das ihn mehr und mehr forderte. Weder Willer noch ich konnten nachvollziehen, was das nun sollte, aber Dalecki hatte etwas gefunden, was ihm die Mafia nicht bieten konnte: Die Möglichkeit, seine persönlichen musikalischen Ideen auszuleben, und zwar vor einem ganz anderen, ’normalen‘ Publikum.

Die Sache zog sich noch ein wenig, es kam zu ein paar blöden Vorfällen und schließlich erklärte Ding Dong Dalecki seinen Austritt aus der Band. Ich ließ ihn mit grimmigem Nicken ziehen. Damit endeten fast elf Jahre gemeinsame Zeit. Peng. Willer und ich überlegten uns, ob und wie die Sache wohl weitergehen solle…

Kapitel IV: Zeitenwende

1.Björn Karl

Zunächst war durchaus nicht klar, ob es eine Zukunft für die Mafia gab, aber schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass es doch wohl nicht so schwer sein könne, für uns einen Trommler zu finden. Wir wollten also so weitermachen wie bisher, und brauchten somit nichts weiter als einen Erfüllungsgehilfen für Studio und Bühne.

Es gab also ein regelrechtes Anforderungsprofil: Die bisherigen Titel mussten genau kopiert werden, neue waren im vertrauten Stil zu erarbeiten. Der Trommler sollte ein Mann sein, möglichst nicht aus der RocknRoll-Szene (die waren meistens nicht wirklich gut), und er musste Erfahrung haben. Wir dachten an einen Jazzer. Ach ja, und aus Elmshorn sollte er natürlich am Besten auch kommen.

Man kann sich vorstellen, dass das die Sache nicht einfacher machte. Und doch hatte ich von einem jungen Mann gehört, der alle diese Kriterien erfüllte. Sein Name war Björn Karl, er hatte ein eigenes Bandprojekt mit dem Namen ‚Jamin´Jazz Quartett‘ am Start und arbeitete darüber hinaus als Aushilfsdrummer bei verschiedenen lokalen Bands ähnlicher Coleur. Er war gerade mal 24 Jahre alt und unverschämt agil.

Ich sah ihn in Aktion auf dem Hafenfest in Elmshorn, als er bei einer Dixieland-Combo aushalf, und da begriff ich, dass ich ihn schon lange kannte. Er hatte nämlich Jahre vorher auf einem Schulfest gespielt, auf dem wir auch Musik gemacht hatten, und mir war schon damals das Können der ganzen Kapelle, es handelte sich um eben jenes ‚Jamin´Jazz Quartett‘, geradezu unangenehm aufgefallen. Es ist nämlich immer ein komisches Gefühl, wenn die Leute die Holzhackerkapellen feiern und die Könner bestenfalls mit höflichem Applaus bedenken. Zum Glück war ich immer einer von den Holzhackern.

Nun, wenn es einen passenden Mann für die vakante Stelle gab, dann war er das. Ich fragte Björn also, ob er Lust auf eine Session hätte und er sagte zu. Das Ergebnis war ernüchternd: Wir kamen nicht so recht zueinander, Björns verschachtelter Stil wollte nicht zu unseren einfachen und gradlinigen Stücken passen. Außerdem wurde klar, dass wir es hier mit einem Mann zu tun hatten, der uns forderte und keinesfalls bereit war, zu fertigen Arrangements den Rhythmus zu servieren. So kaufte ich ein paar Sticks und übergab sie Björn am 27.09.1996, genau dem elften Geburtstag der Band.

Vor uns lag jede Menge Arbeit, denn wir hatten für den Februar 1997 einen Auftritt für Hartmut Bergen in Bielefeld angenommen. Dieser Gig war vielleicht der Schwerste, den ich je gespielt habe, denn es stand viel auf dem Spiel. So viel, dass ich etwas tat, was ich noch nie getan hatte: Ich blieb völlig nüchtern. Das Publikum zeigte sich deutlich irritiert, und ich war für meine Verhältnisse ziemlich wortkarg. Wir wuppten die Sache so halbwegs, aber allen wurde klar, dass hier etwas Neues am Start war, und dass es die alte Mafia nicht mehr gab. Komischerweise fand ich das gar nicht so schlimm…

Der erste Schritt war gemacht, aber es blieb die Frage, ob man auf diesem Wege vorankommen würde.

2. Sie bestellen, wir sind da

Obwohl es so nicht zu erwarten gewesen war, wurde 1997 dann ein tolles Jahr, denn wir kamen voran, und zwar mächtig. Dabei war es vor allem die Arbeit an den neuen Stücken, die uns weiterbrachte, denn wir arrangierten die Lieder durch wie noch nie zuvor. Endlich benutzten wir die Drums als vollwertiges Element und nicht als Zugabe.

Es war eine Zeit wie im Rausch, und wir erlebten Bandarbeit auf eine ganz neue, lustige und gänzlich frustfreie Art. Einige der neuen Kracher, die das Rückgrat des Repertoires werden sollten, waren ‚Sie bestellen, wir sind da‘, ‚Heartbeats‘, ‚Friedrich Timm‘, ‚Touch of Evil‘ und ein ganz besonderer Titel, den wir mit Akkordeon einspielten: ‚Hinter dem dunklen Tunnel‘.

Damit gingen wir konsequent weiter den Weg der Deutschen Texte und vergrößerten den Stückepool der Mafia auf beinahe 100 Titel. Wir hatten auch in der Vergangenheit konsequent immer wieder neues Material in die Auftritte eingebaut, um aktuell zu bleiben, aber 1997 war es erstmals soweit, dass wir fast eine ganze Platte drauf hatten, bevor wir ins Studio gingen. Vorher hatten wir die Stücke zuweilen im Studio überhaupt erstmals komplett durchgespielt, was man den Scheiben auch anhört.

Auch ‚Sie bestellen…‘ ist nicht frei von solchen Pfuschereien, aber der Bodensatz waren die besten Stücke, die wir bis dahin aufgenommen hatten. Eigentlich sollte die Platte Weihnachten 1997 eingespielt werden, aber Willers Blinddarm machte uns einen Strich durch die Rechnung, so nahmen wir die Platte erst April 1998 im Soundgarden-Studio in Hamburg auf.

Mit der Zeit gewöhnten wir uns an immer komplexere Liedstrukturen, und auch die nun deutlich trockneren Auftritte wurden immer routinierter. 1999 spielten wir eine kleine Eigenproduktion für eines unserer schon klasssischen Weihnachtskonzerte ein, eine selbstgebrannte CD mit dem Titel ‚Der Weihnachtsmann ist blau‘, die schnell Kultcharakter in Elmshorn und auch in RocknRoller-Kreisen bekam.

Spätestens mit dieser Scheibe wurde uns klar, dass wir so langsam da angekommen waren, wo wir hinwollten. Jedenfalls war die Band nun ca. zwei Jahre ein echtes Trio mit gleichwertig agierenden Mitgliedern, etwas, was es in den ganzen Jahren vorher nicht gegeben hatte. Die Rockabilly Mafia hatte nicht nur die schwerste Krisís ihrer Geschichte überwunden, sie war an den Widrigkeiten gewachsen und wir waren ein Team. Zum ersten Male konnte ich mich zurücknehmen und die anderen machen lassen.

Kapitel V: Serious Rockin

Mit dieser Platte aus dem Jahr 2002 haben wir in mehrfacher Hinsicht einiges gewagt. Zum Ersten wechselten wir die Plattenfirma, denn Lado war mir letztendlich zu weit von den Käufern unserer Produkte entfernt. Nach einigem Hin-und Her erhielt Guido Neumann von ‚Crazy-Love-Records‘ den Zuschlag, mit gefiel die Idee, auf einem Psycholabel (ich weiß, dass diese Bezeichnung zu kurz greift!) zu veröffentlichen, denn nirgendwo werden so viele dynamische und seltsame Produkte an den Start gebracht wie in diesem Teil der RocknRoll-Szene. Auch hat man hier die Chance, Leute zu erreichen, die sonst nie auf die Idee kämen, eine Mafiaplatte zu hören.

Die vielen euphorischen Kritiken gerade aus dieser Richtung haben mich dann aber doch verblüfft, von Lonesome lancierte Auftritte auf Konzerten seiner ‚Mental-Hell-Agentur‘ vor ausgesprochenem Psycho-Publikum waren ungeheuer spannend für uns und gingen voll nach vorne los. Merkwürdige Zeiten. Aber klasse.

Zum Zweiten mischten wir diese Platte erstmals mit Jens Bernhard, einem Freund von Björn, der das Ding mit uns quasi als Homerecording aufnahm. Die Vorarbeiten hatten die beiden überwiegend allein erledigt, ein zunächst komisches Gefühl für mich. Damit war dies die erste Platte, die(zumindest zum überwiegenden Teil) nicht von Chris von Rautenkranz im Soundgarden gemischt worden ist.

Zum Dritten habe ich noch nie mehr Zeit in Texte investiert, ein Fall von Kindesmißbrauch in meinem weiteren Bekanntenkreis, der Selbstmord einer Freundin, das Börsendebakel eines sehr guten Freundes zum Millenium, unsere Lebenszwischenbilanzen, die Liebeserklärung an meine Frau, und besonders der Text zum Titellied ‚Serious Rockin‘, das alles waren Themen, die mir am Herzen lagen und auch Resonanz erzeugten.

Exkurs: Authentizität

Womit ich kurz vor Schluss noch einmal zur Thematik des Anfangs zurückkomme: Die Echtheit. Der Text von ‚Serious‘ ist gerade bei einigen Fans der sog. Authentic-Spielart des heutigen Rockabilly sehr schlecht angekommen, da ich hier zwischen ‚Serious Rockin‘ und ‚Copy-Cat Shit‘ unterscheide.

Nun ist es nicht meine Absicht, irgendjemanden zu belehren, aber die Problematik der Authentizität, das dürfte aus allem Vorangegangenem deutlich geworden sein, ist eines der wichtigsten Themen meines Lebens. Da ist es natürlich nicht verwunderlich, dass mich die Bezeichnung ‚Authentic‘ nervt, denn nichts ist weniger authentisch als ein paar Leute, die sich kleiden wie 1949, die Instrumente dieser Zeit benutzen, die entsprechenden Verstärker, Gesten,Witze, Slangbegriffe usw..

Dann werden noch die alten Titel hervorgekramt, weil die ja schon immer so toll waren, und wir sind alle selig. Wenn das für bestimmte, durchaus reaktionär zu nennende Menschen die Antwort auf die Probleme unserer Zeit ist, meinetwegen, authentisch im Wortsinne ist es jedenfalls nicht. Nicht, dass diesen Bewahrern ‚alter Werte‘ nicht ein gewisser Respekt zu zollen wäre, sie nehmen eine Art kultureller Sicherung vor, wie das in gewisser Weise auch ein Künstler wie Max Rabe mit seinem Palastorchester macht, nur ist das eben nicht authentisch, sondern in höchstem Maße retrospektiv.

Was aber fehlt, ist die Relevanz: Wieviel echte Durchschlagskraft kann denn die genaue Imitation eines Künstlers von 1956 bei heutigen Zuhörern entwickeln? Muss das nicht ein Blick ins Panoptikum bleiben? Wähle ich da nicht den Weg des geringsten Widerstandes, weil ich mich in eine Welt träume, die nur deshalb so wünschenswert ist, weil sie eben nicht meine echte Lebensrealität darstellt?

Und indem ich mir vorstelle, ich könnte das Lebensgefühl der 50er nacherleben, verweigere ich mich nicht ganz oder teilweise in diesem Moment dem wahrhaftigen und echten Lebensgefühl, den Problemen und Themen des Jahres 2004, mit denen ich doch real lebe, denen ich mich als Mensch zu stellen habe?

Wenn sich ein sog. ‚Altstar‘, der in den 50ern drei Singles veröffentlicht hat und dann 45 Jahre lang Fliesenleger war, heute so verhält, kann ich das nachvollziehen. Wenn aber junge Musiker meinen, dies sei ein Weg, für sich selber Echtheit, Originalität, Authentizität zu erreichen, sitzen sie m.E. einem perfiden Trugschluss auf. Ein Trugschluss, der vorgaukelt, Kunst entstünde aus dem möglichst genauen Nachstellen der Natur, die aber immer unkopierbar bleibt, weil den Nachstellenden eben die Authentizität fehlt. Ein Trugschluss übrigens, der bereits in Kleists Aufsatz zum Marionettentheater unübertrefflich dargestellt wird. Man lese ihn. Das und nichts anderes ist damit gemeint, wenn es in ‚Serious Rockin‘ bei uns heißt:

It is an inappropriate idea to cover songs from the past times. If you´ve got something to anounce, anounce it by yourself! You don`t honour good ideas repeating them like a parrot. You can´t sing all your Life the songs you sang when you were twelfe.

Es geht somit nicht darum, gewisse Stilformen abzukanzeln, ich habe nichts gegen historischen Rockabilly und Leute, die ihn hören oder nachspielen. Ich habe lediglich etwas dagegen, wenn der Eindruck erweckt wird, dass diese Menschen etwas mit den Menschen gemein hätten, die die Musik ursprünglich einmal gemacht haben. Das haben sie nicht.

Sie sind Bewahrer, keine Erfinder. Sie sind Bibliothekare, keine Schriftsteller. Sie sind Historiker, keine Augenzeugen. Sie sind Kunsthandwerker, keine Künstler. Beides hat seine Berechtigung, aber man darf es nicht miteinander verwechseln. Und wem ich mehr Bedeutung beimesse, kann man sich wohl denken.

Ende des Exkurses.

Somit hatten wir mit dieser Platte in mehrfacher Hinsicht unseren Horizont eweitert und auch Determinanten gesetzt. Sie ist sicher eine unserer wichtigsten.

2003 brachte interessante Gigs für Freunde in ganz Deutschland, aber das größte Ding war das Weihnachtskonzert in der EMTV-Halle in Elmshorn, die wir füllten. Ich bin sehr froh, dass wir den Auftritt mitgeschnitten haben, er wird 2004 als CD erscheinen und gibt einen guten Überblick über die Mafia im 19.ten Jahr. Im Moment scheint die Kapelle einen Punkt erreicht zu haben, an dem einer weiteren Dekade nichts im Wege steht. Zum Glück haben wir alle Berufe, die es uns ermöglichen, die Musik als Berufung zu sehen. Wir bleiben Amateure aus Überzeugung. Und wir machen das, was wir immer gemacht haben:

Unseren eigenen Kram

Michael ‚Ted‘ Harbeck in Ellerhoop/Holstein, April 2004

Kapitel VI: Vom Ticken zur Silberhochzeit

Es ist nicht ganz leicht, einfach so an die vorherigen fünf Kapitel anzuknüpfen, um nun die letzten sieben Jahre der Rockabilly Mafia abzuarbeiten. Lese ich die Bandgeschichte bis hierhin mit dem Hintergrund der neuen Erfahrungen, die ich insbesondere in den vergangenen fünf Jahren machen durfte, so erwische ich mich dabei, wie ich über den jungen Mann, der da berichtet, ein wenig lächle. Nun, das Rad bleibt nicht stehen, und Wichtigkeiten ändern sich zuweilen im Leben. Rückblickend betrachtet bin ich froh und sehr dankbar, so viele Jahre meines Lebens in der dargestellten Egozentrik verbracht zu haben. Das stählt und ich glaube, hätte ich nicht mit unserer Musik meinen Eigen- und Starrsinn gegenüber ganzen Generationen von Zuhörern und Kritikern trainiert, ich hätte das, was nun kam, nicht überstehen können.

Aber der Reihe nach. Fangen wir an mit 2004.

Im letzten Kapitel wird ja das Weihnachtskonzert erwähnt, das wir 2003 aufgezeichnet hatten. Aus diesem Material bastelten Jens Bernhard und ich 2004 ein Lifealbum zusammen, welches wir aber nur als Promo veröffentlichten. Basteln trifft es ziemlich genau, denn Jens kam allabendlich mit seiner Triumph nach Ellerhoop, die NS-10 Abhörboxen in den Satteltaschen, und wir mixten das Ding nach der Arbeit binnen einer ziemlich schlaflosen Woche an meinem Wohnzimmertisch. Das war die ganze Studioarbeit für dieses Jahr, und wie gesagt, richtig veröffentlicht haben wir das Ding gar nicht.

Für 2005 stand ja nun das 20. Jubiläum der Band an, dazu wollten wir ein neues Album rausbringen. Die Vorarbeiten liefen gut und mir fielen ein paar meiner besten Texte ein. Der Titelsong wurde…

Könnt Ihrs ticken hörn?

Diese Platte war in mehrfacher Hinsicht die Schwester zu ‚Serious Rockin‘. Das zeigt sich zum einen in der Fortsetzung der alten Themen: Vergänglichkeit, DAS Mafiathema schlechthin, vereinigt sich hier mit der Kontinuität, die Einsicht, dass sich zwar neue Dinge abspielen, aber auch wie in einem Rad die alten immer wiederkehren, spiegelt sich in einem Lied des Albums, aber auch in den unvermeidlichen Retros, also mehr oder weniger stark veränderten Neuaufnahmen alter Titel. Zum anderen ist die Platte in gleicher Art, als quasi ‚Homerecording‘, hergestellt wie ‚Serious‘ bei Björn zuhause, wobei wir beim ‚Ticken‘ aber das Konzept der Zügigkeit, das unsere Scheiben immer kennzeichnete, auf die Spitze getrieben haben. Es waren fünfzehn Stücke, die wir am 13.08.05 hintereinander aufnahmen.

Da musste natürlich einiges auf der Strecke bleiben. Deshalb gab es auch eine Premiere, die es früher mit mir sicher nicht gegeben hätte: ‚Misty Night‘ und ‚Nebel‘ waren bei den Aufnahmen gesanglich derart verunglückt, dass ich sie nachträglich auf einer Extraspur nochmals einsang. Es ging einfach nicht anders, sonst wäre die Scheibe zum Jubiläum im September nicht mehr fertig geworden. Da fällt mir ein, so eine hunderprozentige Premiere war es dann übrigens doch nicht, bei unserer allerersten Platte von 1986 hatte ich ‚Rockin in the Graveyard‘ usw. technisch bedingt auch drüber gesungen, damals aber wusste ich nicht, dass es auch anders geht. Lustigerweise nahmen wir das Lied für ‚Ticken‘ neu auf, diesmal dann voll life. Jaja, das Rad…

Erwähnenswert aus meiner Sicht ist von der Platte natürlich noch ‚Mir doch egal‘, ein Text, der mir regelrecht aus der Seele quoll nach zwei Jahrzehnten mit all den Schlaumeiern, die mir immer erzählen wollten (und wollen), wies geht. Leider wird vielen unserer Hörer immer erst sehr spät klar, dass wir den Sountrack zu unserem eigenen Leben liefern und nicht zu ihrem, das muss zu Enttäuschungen führen, gerade, wenn wir mal wieder nicht in der Mitte einer alten oder neuen Welle liegen und die Leute dann wirklich nicht kapieren, was die neuen Lieder nun wieder sollen. Passt doch nicht, nicht mehr Mafia, hieß es dann immer. Passt aber eben doch, nur nicht dem Hörer, sondern uns, und wir bestimmen, was Rockabilly Mafia ist und was nicht.

Tja, wers anders will, greife zu Bleistift, Papier und Instrument und los gehts, macht gefälligst Eure eigenen Lieder, wir haben unsere. Womit hoffentlich mal deutlich und verstehbar ausgesprochen wäre, dass wir nicht als Vorbild taugen, sondern nur als Eigenbeleg: Zitieren gerne erlaubt, Vereinnahmung unerwünscht. Soweit dazu.

Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich ‚Nebel‘, das Lied zur trunkenen Nachtwanderung, ‚Bis zum Ende‘ für meinen viel zu früh verstorbenen Schwager und und ‚Johnny cried‘, noch ein Totenlied, diesmal für Joe Thol, dessen Vater ebenfalls kurz zuvor gestorben war.

Mit dem Jubiläum schloss sich ein Kreis, wir hatten nun zwanzig Jahre auf dem Buckel, auch das obligatorische Weihnachtskonzert war gut und ich dachte: ‚Mensch Jung, so kanns doch ewig weitergehn..‘ Es kam das Jahr 2006, und nichts blieb, wies mal war…

Exkurs: Dass man steht

Es fällt mir nicht leicht, die Ereignisse der Jahre 2006 bis circa 2008 überhaupt chronologisch nachvollziehbar zu erinnern. Ich möchte an dieser Stelle nicht auf Einzelheiten eingehen, nur soviel: Wir waren in Sachen Blöde Ereignisse nie verwöhnt, aber was über Jahre nun meine Familie und mich traf, waren echte Prüfugen, die man unter Schicksalsschlag ablegen muss. Ich funktionierte nurmehr wie ein Automat, und dass gleichzeitig beruflich die größten Herausforderungen meiner Karriere auf mich niederprasselten, war dann nur noch Extrakäse auf der Pizza.

Auch heute sind noch große Teile der Ereignisse gut in meinem Hirn verschlossen, hoffentlich für immer, bei gutem Druckausgleich. Damals wäre mir beinahe der Kopf geplatzt, in einer dunklen Nacht Anfang 2007 entkam ‚Ich verliere den Verstand‘ meinem Hirn. Es folgten ‚Dass man steht‘ und ‚I need a Break‘. Das waren keine Spielereien mehr, keine Nörgeleien an der Gesamtsituation ala ‚Pleite‘, kein Soundtrack zum Suff wie ‚Zack‘ oder Melancholie im ‚Nebel‘. Das war knapp. Ich wäre wirklich beinahe durchgedreht..

Wenn ich früher Berichte über Menschen sah oder hörte, die buchstäbliche Wahnsinnstaten begangen hatten, bei denen man sich fragt, wie ein Kopf sowas ausbrüten kann, dachte ich immer, mir könnte das nie passieren. Heute bin ich etwas kleinlauter, wer einmal im ‚Nachtzug‘ gesessen hat, weiß, was ich meine…

Ende des Exkurses.

On Tour

In dieser Zeit nahmen Björn und Tex mir ab, was sie konnten, und darüber hinaus fingen wir an, zu ‚packagen‘. Bei dieser Art von Agenturarbeit bucht der Agent die Clubs und geht mit den Combos je nach Lage auf Tour, was eine tolle Sache ist, weil man mit den Veranstaltern kaum mehr was zu tun hat. Das kam meiner Gemütsverfassung sehr entgegen.

Unser Mann der Stunde war Lonesome von ‚Mental Hell‘. Ich kannte Lon schon an die 20 Jahre und wusste genau, woran ich bei ihm war. Ein Profi durch und durch, der uns als ambitionierte Amateure in seinem SatanicStompMentalHell etc.-Betrieb ohne viel Federlesen einfach mitlaufen ließ.

Das funktionierte erstaunlich gut und er brachte uns in diverse neue Clubs. Das Booking über eine Agentur ist eine tolle Sache, wenn man wenigstens semiprofessionell arbeiten will. Alles ist geregelt und wenn der Booker mit gleich mehreren Bands der Agentur unterwegs ist, kommt man quasi aus dem Hotel auf die Bühne und ist ansonsten nur unter Muckern, wenn man das so will. Hotel, Club, Management, überall Profis. Das wars, wir hatten alles erreicht, was eine kleine, aber feine Kapelle unserer Art erreichen konnte, und ein paar Jahre lang, genauer gesagt bis Anfang 2011, lief alles bestens.

Dann aber war eine neue Entscheidung fällig, denn die Dinge hatten sich für mich, wie schon vorher für Tex (..und Millionen andere Familienväter…) ganz schön geändert. Plötzlich hat man die Mitte der Vierziger hinter sich gelassen, Zeit wird kostbarer und ab und zu ist man auch mal richtig fertig. Es ist außerdem eine perfide Tatsache, dass unser Steuerrecht Nebeneinkünfte, wie die Musik sie erbringen, zumindest in meinem Falle eher bestraft als honoriert. Dann ist weniger auf einmal mehr. So kamen wir zu dem Schluß, die Sache noch kleiner werden zu lassen, als sie von jeher schon war und uns auf die Hauptsache zu konzentrieren, unsere Lieder.

Doch erst noch mal zurück ins Jahr 2009. Neben den schlimmen Texten der Vorjahre verirrten sich zusehends auch andere, wieder lustigere Töne in meine Ideen, und gegen Ende des Jahres hatten wir neun gute Stücke zusammen. Warum sollten wir es eigentlich nicht wieder mal versuchen?

Lets do it again

Gleich im Januar 2010 nahmen wir in Jens Bernhards JMB-Studio auf. Nicht mehr 15 Stücke in einer Session, sondern nur noch 9, die aber in der gebotenen Sorgfalt. Das war direkt entspannend. Es stand ja für den Oktober die Silberhochzeit an und wir wollten schon mal vorlegen, um den Rücken frei zu haben. Naja, es war dann wie immer, die zweite Session fand dann nach einigem hin und her nebst Auftritten usw. erst im August statt, diesmal mit paradiesischen 6 Stücken, darunter die Perlen ‚Rungholt‘, ‚Dreh dich nicht um‘ und ‚Spin‘, allesamt erst nach der Januar-Session überhaupt geschrieben.

In ihrer Gesamtheit spannt die Platte den Bogen über all die Arten von Stücken, die wir über die Jahre immer wieder in diverser Form aufgenommen hatten. Wenn man sie sich anhört, finde ich wirklich, es ist unsere in sich schlüssigste CD mit einem Knaller nach dem anderen. Ein echter Überblick über das, was wir tun (hähähä, ich kann nicht nur Rumpelenglisch, sondern auch Rumpeldeutsch!).

Das anschließende Mixing mit Jens und später mit Tex und Björn wurde für mich zur Zerreißprobe, denn nun drängte die Jubiläumsjamboree schon richtig. Als Sanne die Bilder für die CD machte, hatte ich die Nacht vorher fast durchgemixt, hoffentlich werde ich so alt wie ich da aussehe!

In der Zwischenzeit war etwas Lustiges passiert: Der Kaffeeröster Tchibo (wir sind nicht undankbar und nennen gerne Namen!) hatte eine Rockabilly-Party-CD herausgebracht und wir waren mit ‚Heartbeats‘ von 1998 dabei. Beknackt, aber wenigstens waren wir mal mit Haley, Lewis und Presley auf einer Scheibe, und den White Lines, was ich klasse fand, und den Baseballs, naja, mal wieder schräg…

Dann kam das Jubiläumskonzert, wie immer in der EMTV-Halle/Elmshorn, diesmal mit Tom Toxic und Pfeffer. In der Rückschau muss ich sagen, dass die Anspannung der Vormonate ihren Tribut forderte. Das war alles gar nicht übel, aber die Unbeschwertheit, die die Aufnahmen begleitet hatte, war in all der Produzierer- und Veranstalterei doch ziemlich über den Deister gegangen. So richtig selber feiern konnten wir erst auf dem Weihnachtskonzert.

Meine Güte, 25 Jahre! Nun bin ich am Ende also wieder im Jahre 2011, der Kreis schließt sich, und ich glaube, es wird zumindest in Ansätzen klar, warum wir von jetzt an so weitermachen wollen, wie wir vor vielen, vielen Jahren einmal angefangen haben, nämlich mit unserer Berufung, die eben kein Beruf ist: Rockabilly.

Wann und wie wir ihn mögen. Wir werden weniger Auftritte machen und zwar nur dann, wenn wir Lust dazu haben.

Tja, auch nach 26 Jahren gilt: Das Rad bleibt nicht stehn. Möge es sich noch lange weiterdrehn!

Michael Ted Harbeck in Tornesch im Juni 2011